Informationskosten bezeichnen alle Aufwendungen, die ein Entscheider tätigen muss, um für eine Entscheidung relevante Informationen zu beschaffen, zu überprüfen und zu verarbeiten. Dazu zählen finanzielle Ausgaben (z. B. für Marktdaten), aber auch Zeit und kognitive Ressourcen.
Sie fallen in der Regel vor einer Transaktion an - oft sogar ohne dass es zu einem Geschäftsabschluss kommt. Informationskosten betreffen nicht nur Unternehmen, sondern auch Verbraucher - und beeinflussen das Funktionieren ganzer Märkte. Dieser Artikel beleuchtet:
die theoretischen Grundlagen,
empirische Erkenntnisse,
die Auswirkungen der Digitalisierung,
sowie verbraucherschutzrelevante Implikationen.
1. Theoretischer Hintergrund
Informationsökonomie: Warum gute Information kostet
Seit dem Aufsatz „The Economics of Information“ von George Stigler (1961) ist klar:
„Preisstreuungen sind ein Maß für die Unwissenheit im Markt.“
Das bedeutet: Wenn Informationskosten hoch sind, vergleichen Verbraucher nicht alle Angebote - und akzeptieren Preisunterschiede für identische Güter. Informationskosten entstehen unter anderem durch:
Suchaufwand (Zeit, Tools, Vergleichsplattformen),
Verarbeitungsaufwand (kognitive Ressourcen zur Bewertung),
Absicherungsaufwand (z. B. Einholen von Zweitmeinungen oder Garantien).
Kernelemente der Informationsökonomie:
Informationswert: Die Entscheidung, wie viel Information man sammelt, hängt davon ab, ob der erwartete Nutzen größer ist als der Aufwand.
Informationsasymmetrien: Unvollständige Informationen führen dazu, dass ein Marktteilnehmer (oft der Anbieter) systematisch im Vorteil ist.
Adverse Selektion & Moral Hazard: Uninformierte Käufer bevorzugen Billigprodukte, gute Anbieter ziehen sich zurück. Bei Versicherungen kann falsche Risikoeinschätzung auftreten.

Transaktionskostentheorie (Coase & Williamson)
In der Transaktionskostentheorie werden Informationskosten als eine der drei zentralen Kostenarten betrachtet:
Anbahnungskosten (Suche, Info-Beschaffung),
Vereinbarungskosten (Verhandlungsaufwand, Vertragsgestaltung),
Durchführungskosten (Kontrolle, Absicherung, Konfliktlösung).
Informationskosten sind damit elementar für die Frage, wann und wie Transaktionen stattfinden. Je höher diese Kosten sind, desto eher wird auf den Markt verzichtet (vertikale Integration, Eigenfertigung).
Beispiel: Ein Unternehmen verzichtet auf eine externe Dienstleistung, weil die Suche nach einem seriösen Anbieter zu aufwändig ist.

2. Empirische Daten zu Informationskosten
Die Theorie ist gut erforscht - doch was sagen Zahlen über reale Informationskosten und ihre Folgen?
Bereich | Befund |
---|---|
Preisunterschiede im Einzelhandel | Bis zu 30 % Differenz für identische Produkte - je nach Stadt und Anbieter |
Digitale Empfehlungsalgorithmen | 35 % von Amazon-Umsätzen & 75 % von Netflix-Aufrufen stammen aus automatisierten Empfehlungen |
Kaufabbrüche durch Info-Overload | 75 % der Verbraucher brechen Onlinekäufe gelegentlich ab, weil sie sich überfordert fühlen |
Wechselträgheit bei Energieverträgen | Wechselrate bei Gasverträgen (2007) bei nur 1 % - trotz Einsparpotenzial bis 400 €/Jahr |
AGB-Nutzung | Nur ca. 23 % lesen AGBs regelmäßig - häufigster Grund: zu lang, zu kompliziert |
OECD: Verbraucherschaden Onlinehandel | >22 Mrd. USD jährlich durch fehlerhafte oder irreführende Informationen im digitalen Einkauf |
Zusätzliche Studien zeigen, dass Informationsdefizite in Versicherungs-, Gesundheits- oder Finanzfragen besonders hohe Folgekosten verursachen.
3. Digitalisierung: Chancen & neue Komplexität
Vorteile der Digitalisierung
Suchkosten sinken:
Vergleichsportale für Reisen, Versicherungen, Energie etc.
Preisvergleich in Echtzeit (z. B. Idealo, Check24)
Informationszugang wird demokratisiert:
Nutzer können auf Bewertungen, Testberichte und Erfahrungsberichte zugreifen.
Transparenz steigt - zumindest theoretisch:
Anbieter müssen Angaben zu Preisen, Leistungen und Bedingungen offenlegen.
„Digitale Plattformen sind Hebel zur Reduktion von Transaktionskosten“ - IW Köln

Neue Risiken und Formen von Informationskosten
Information Überlastung:
Die enorme Menge an verfügbaren Informationen, besonders im digitalen Raum, führt bei vielen Nutzern zu einer Form der kognitiven Überforderung. Wenn sich Verbraucher durch zu viele Wahlmöglichkeiten überlastet fühlen, nehmen sie häufig Abstand vom Entscheidungsprozess oder treffen suboptimale Entscheidungen. Dies ist insbesondere im Online-Shopping sichtbar, wo die Auswahl an Produkten schnell mehrere hundert Optionen umfassen kann.
Nutzer fühlen sich überfordert durch zu viele Wahlmöglichkeiten
Studien belegen sinkende Entscheidungsqualität bei zu komplexen Angeboten
Algorithmische Steuerung:
Empfehlungssysteme, wie auf Plattformen wie Amazon, YouTube oder Netflix, helfen Nutzern dabei, für sie interessante Inhalte zu finden. Sie reduzieren scheinbar die Informationskosten, indem sie vorsortieren. Doch diese Systeme bringen auch neue Risiken mit sich. Der Auswahlprozess ist nicht transparent, und oft ist nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien Inhalte vorgeschlagen werden.
Empfehlungssysteme filtern zwar vor, schaffen aber neue Intransparenz:
Warum wird mir dieses Produkt angezeigt?
Welche Alternativen sehe ich nicht?
Neue asymmetrische Informationsverhältnisse:
Plattformen kennen Nutzerverhalten bis ins Detail - Nutzer verstehen das System nicht.
Gefahr von personalisierter Preisdiskriminierung.
Solche Systeme können dazu führen, dass verschiedene Nutzer unterschiedliche Preise für dieselben Produkte angezeigt bekommen oder bestimmte Informationen gezielt zurückgehalten werden. Damit wird nicht nur die Vergleichbarkeit eingeschränkt - es entsteht eine neue Art der asymmetrischen Machtverteilung.

Vertrauensverlust und Fehlinformation:
Ein weiteres Problemfeld ist die Qualität und Glaubwürdigkeit der angebotenen Informationen. Mit der Öffnung des Internets als Publikationsraum können auch falsche, manipulierte oder werbliche Inhalte leicht als neutrale Information erscheinen. Das Vertrauen in Bewertungen, Rankings und Online-Rezensionen ist deshalb in vielen Bereichen gesunken.
Zunahme von:
gefälschten Rezensionen,
bezahlten Empfehlungen ohne Kennzeichnung,
Dark Patterns in der Benutzerführung.
Wenn Verbraucher sich nicht mehr auf die sichtbaren Informationen verlassen können, müssen sie zusätzlichen Aufwand betreiben, um verlässliche Quellen zu identifizieren - was die effektiven Informationskosten erneut ansteigen lässt.
Konsequenz: Verbraucher investieren zusätzliche Zeit, um „die Wahrheit“ hinter Angeboten herauszufinden - Informationskosten steigen erneut.
4. Verbraucherschutz: Informationskosten senken, Marktversagen verhindern
Informationskosten können dazu führen, dass Verbraucher:
sich falsch entscheiden,
gute Angebote nicht erkennen,
überteuerte oder ungeeignete Verträge abschließen,
oder ganz auf Entscheidungen verzichten.

Problemfelder:
Produktauswahl:
Beispiel: Kühlschrank, Handy oder Zahnarztwahl
Herausforderung: Vielzahl an Faktoren (Preis, Energieverbrauch, Garantie, Qualität)
Vertragsabschlüsse:
Komplexität von:
Versicherungsbedingungen,
Stromtarifen,
Mobilfunkverträgen
Problem: Viele Klauseln, Fachbegriffe, fehlende Vergleichbarkeit
AGB & Datenschutz:
Zu lang, zu technisch, rechtlich unverständlich
Relevanz steigt mit digitaler Nutzung (z. B. App-Nutzung, Cookies, Tracking)

Maßnahmen zur Reduktion von Informationskosten
Maßnahme | Wirkung |
Standardisierte Infoformate (z. B. IPID) | Einheitliche, leicht verständliche Produktinformationen |
Vergleichsportale & Tarifrechner | Reduzieren Recherchezeit & verbessern Markttransparenz |
Verbraucherzentralen & Beratung | Komplexitätsreduktion durch Expertenhilfe |
Regulierung algorithmischer Prozesse | Transparenzpflichten und Prüfmechanismen für Empfehlungssysteme |
Open-Data-Initiativen | Bereitstellung öffentlicher Preis- und Produktdaten für Drittanwendungen |
5. Zukunftsausblick: Informationskosten als Gestaltungsfaktor moderner Märkte
Die Senkung von Informationskosten ist keine rein technische, sondern auch eine politische und gesellschaftliche Aufgabe. Die Entwicklung hin zu „smarten Märkten“ hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt:
Informationen zugänglich, vergleichbar und verständlich zu machen,
versteckte Komplexität zu reduzieren,
und neue Risiken der Informationsmanipulation zu begrenzen.
Innovationspotenziale:
Intelligente Assistenten:
KI-basierte Vertrags- und Produktempfehlungen mit Verbraucherschutzfokus
Automatisierte AGB-Prüfer:
Browser-Plugins, die problematische Klauseln hervorheben
Persönliche Daten-Dashboards:
Übersicht über geteilte Daten & Zugriffsrechte (z. B. bei Plattformen)
Zielbild: Ein Markt, in dem Informationen nicht abschrecken, sondern empowern.
Fazit
Informationskosten sind mehr als nur ein akademisches Konzept - sie bestimmen im Alltag, ob Märkte fair und effizient funktionieren. Eine rationale Entscheidung setzt voraus, dass relevante Informationen:
verfügbar,
verständlich und
vergleichbar sind.
Doch genau daran scheitert es häufig. Digitalisierung und Regulierung können helfen - aber nur, wenn sie die realen Aufwände von Informationsverarbeitung ernst nehmen.
Je niedriger die Informationskosten, desto größer die Chance auf faire, souveräne und informierte Entscheidungen - für Verbraucher wie für Unternehmen.
Ein marktgestaltender Verbraucherschutz muss sich daher als Informationsarchitekt verstehen: Er schafft Bedingungen, unter denen gute Entscheidungen möglich werden.